Sexualität mit CED: Nähe trotz Unsicherheit
Was bedeutet Sexualität für Menschen mit CED?
Prof. Dr. Krüger: Sexualität ist bei Menschen mit CED genauso wichtig wie bei anderen Menschen auch. Das Bedürfnis nach Nähe, Lust und Verbindung bleibt bestehen – trotz Erkrankung. Gleichzeitig kann eine CED die Sexualität auf verschiedenen Ebenen beeinträchtigen: körperlich, zum Beispiel durch Schmerzen, Fatigue oder Inkontinenz, aber auch psychisch, etwa durch Schamgefühle oder ein erschüttertes Körperbild. Besonders dann, wenn der Magen-Darm-Trakt unmittelbar betroffen ist, braucht es einen sensiblen Umgang mit diesen Themen.
Wie beeinflussen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa die Sexualität konkret körperlich und psychisch?
Prof. Dr. Krüger: Eine CED ist oft eine „unsichtbare“ Erkrankung – aber in intimen Momenten können plötzlich sehr sichtbare oder spürbare Aspekte auftreten: Stuhldrang, Fisteln, Schmerzen. Gerade in neuen Beziehungen oder beim Dating kann das zu Verunsicherung führen. In langfristigen Partnerschaften wiederum hängt viel davon ab, wie offen miteinander gesprochen wird. Denn viele Schwierigkeiten entstehen nicht durch die Symptome selbst – sondern durch unausgesprochene Ängste und Missverständnisse.
Wie können Betroffene herausfinden, ob sexuelle Probleme eher körperlich oder psychisch bedingt sind?
Prof. Dr. Krüger: Viele Menschen spüren ganz gut, was körperlich bedingt ist – zum Beispiel eine Entzündung, Schmerzen oder Nebenwirkungen von Medikamenten. Schwieriger wird es bei psychischen Faktoren wie Scham, Angst oder sexueller Leistungsdruck. Diese Empfindungen sind oft schwer zu benennen. Wenn sie verdrängt werden, kann das auf Dauer belasten – in der Beziehung, aber auch im eigenen Erleben. Deshalb ist es so wichtig, offen über Sexualität zu sprechen – mit Partner:innen und auch mit Ärzt:innen.
Wie wirken sich Medikamente auf Lust und Körpergefühl aus?
Prof. Dr. Krüger: Cortison-Präparate oder Immunsuppressiva können die Libido beeinträchtigen oder zu Erektionsstörungen führen. Das kann schleichend passieren oder plötzlich auftreten – viele merken erst nach einiger Zeit, dass sich etwas verändert hat. Wer solche Veränderungen bemerkt, sollte sie ernst nehmen und ansprechen. Nicht selten hören wir in der Praxis: „Ich nehme mein Medikament nicht mehr, weil ich mich damit nicht wohlfühle.“ Umso wichtiger ist ein offener Umgang mit Nebenwirkungen – auch im Bereich Sexualität.
Wie können Fatigue und sexuelle Lustlosigkeit zusammenhängen?
Prof. Dr. Krüger: Fatigue ist eine große Herausforderung. Viele Menschen erleben eine tiefe Erschöpfung – körperlich und seelisch. Das wirkt sich auch auf die Sexualität aus. Entscheidend ist, die eigenen Kräfte gut einzuteilen und Prioritäten zu setzen. Auch Bewegung, Tagesstruktur oder – wenn nötig – psychotherapeutische Unterstützung können helfen, wieder mehr Energie zu gewinnen. Aber es braucht Geduld – und Verständnis für sich selbst.
Wie gelingt Kommunikation über Sexualität in der Partnerschaft?
Prof. Dr. Krüger: Viele Paare sprechen wenig über Sexualität – oft aus Unsicherheit. Doch gerade bei CED ist es wichtig, sich mitzuteilen. Das kann zu Beginn ungewohnt sein. Manchmal hilft es, gemeinsam mit einem neutralen Dritten zu sprechen – etwa in einer Beratung. Auch kleine Impulse im Arztgespräch („Gibt es Fragen zu Partnerschaft oder Sexualität?“) können Türen öffnen. Kommunikation lässt sich üben – Zuhören, ausreden lassen, ehrlich sein. Es lohnt sich.
Wie kann man mit Scham oder Inkontinenzängsten beim Sex umgehen?
Prof. Dr. Krüger: Inkontinenz ist ein sehr schambesetztes Themea. Trotzdem ist es wichtig, darüber zu sprechen – und sich kleine Strategien zu überlegen: zum Beispiel vor dem Sex zur Toilette gehen, Tücher bereitlegen oder bestimmte Positionen ausprobieren. Offenheit hilft, Druck rauszunehmen. Humor kann manchmal ein guter Begleiter sein – wenn beide Seiten damit umgehen können. Der größte Stress entsteht oft durch Verheimlichung – nicht durch die Situation selbst.
Was hilft, wenn man sich durch Narben oder ein Stoma nicht mehr attraktiv fühlt?
Prof. Dr. Krüger: Das eigene Körperbild verändert sich durch Operationen, Narben oder ein Stoma – und eben auch die Wahrnehmung und Bewertung. Viele Menschen hadern nachvollziehbarerweise mit diesen Veränderungen. Wichtig ist: Jeder Körper hat Besonderheiten. Schönheit ist kein Ideal, sondern eine Haltung. Man kann modische Hilfsmittel nutzen, zum Beispiel Abdeckungen für das Stoma, um sich wohler zu fühlen. Aber langfristig geht es um innere Akzeptanz – und die entsteht nicht über Nacht. Gespräche mit anderen, die Ähnliches erleben, können hier sehr helfen.
Welche Hilfsmittel oder Anpassungen können beim Sex unterstützen?
Prof. Dr. Krüger: Gleitmittel, Intimhygieneprodukte, Positionskissen – all das kann helfen, um mehr Sicherheit und Komfort zu schaffen. Auch Gespräche mit Gynäkolog:innen, Urolog:innen oder Sexualmediziner:innen können neue Perspektiven eröffnen. Grundsätzlich gilt: Erlaubt ist, was gut tut – ob mit oder ohne Hilfsmittel. Manchmal geht es auch darum, das eigene Bild von „normalem Sex“ zu hinterfragen. Es gibt viele Wege, Intimität zu leben.
Gibt es Besonderheiten bei analer Sexualität mit CED?
Prof. Dr. Krüger: Ja. Bei Entzündungen, Fissuren oder Fisteln ist die Infektionsgefahr erhöht. Wer anale Sexualität praktiziert, sollte mit dem Arzt oder der Ärztin offen darüber sprechen – gerade nach Operationen. Es geht nicht um Verbote, sondern um Schutz und Vertrauen. Wichtig ist, dem Körper Zeit zur Heilung zu geben – und gemeinsam gute Lösungen zu finden.
Was müssen Patient:innen bei hormoneller Verhütung beachten?
Prof. Dr. Krüger: Wenn Durchfälle auftreten, kann die Wirkung der Pille beeinträchtigt sein. Das ist besonders in akuten Phasen wichtig zu bedenken. Auch Wechselwirkungen mit Medikamenten können eine Rolle spielen. Frauen sollten das unbedingt mit ihrem Gynäkologen oder ihrer Gynäkologin besprechen – am besten regelmäßig und angepasst an die Krankheitsphase.
Was bedeutet „Safer Sex“ bei CED und Immunsuppression?
Prof. Dr. Krüger: Wer Immunsuppressiva nimmt, hat ein erhöhtes Risiko für Infektionen – auch für sexuell übertragbare Erkrankungen. Deshalb ist Schutz wichtig, vor allem bei wechselnden Partner:innen. Kondome und regelmäßige Tests gehören dazu – als selbstverständlicher Teil eines verantwortungsvollen Umgangs mit sich und anderen.
Welche Rolle spielen Queerness oder eine geschlechtsangleichende Hormontherapie bei CED?
Prof. Dr. Krüger: Das ist ein komplexes Feld, zu dem es noch wenig Forschung gibt. Generell gilt: Sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität bringen eigene Erfahrungen mit sich – und CED kann diese zusätzlich beeinflussen. Eine sensible, offene ärztliche Begleitung, auch nach Operationen oder bei Hormontherapien ist hier essenziell. Sexualität ist vielfältig – und nicht auf Penetration beschränkt. Je mehr wir darüber sprechen, desto mehr Spielräume entstehen.
Gibt es spezielle sexualtherapeutische Angebote für Menschen mit CED?
Prof. Dr. Krüger: Sexualtherapie, psychologische Beratung oder Beckenbodentherapie – all das kann hilfreich sein. Leider ist das Angebot in Deutschland noch begrenzt, vor allem für Menschen mit chronischen Erkrankungen. Ein guter Einstieg kann auch über Selbsthilfegruppen oder spezialisierte Online-Angebote wie Crohn’s & Colitis UK erfolgen. Dort gibt es viel gutes, aufklärendes Material – auch zu Themen wie Partnerschaft, Queerness oder Lust. Wichtig ist: Du bist nicht allein mit deinen Fragen.
Vielen Dank Prof. Dr. Krüger für dieses Gespräch.
EXA/DE/ENTY/1754