Chronische Schmerzen: Wenn nicht nur die CED bleibt

Chronische Schmerzen und Schmerzwahrnehmung bei CED

Jeder Mensch empfindet Schmerzen unterschiedlich. Dies liegt vor allem daran, dass das Schmerzempfinden ein sehr komplexer Vorgang ist, der von der subjektiven Wahrnehmung und der Psyche beeinflusst wird. Eines haben jedoch alle gemeinsam: Wer Schmerzen hat, wünscht sich, dass diese schnell gelindert oder beseitigt werden. Bei Schmerzen handelt es sich laut der Weltschmerzorganisation IASP (International Association for the Study of Pain1) um ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis.2 Dieses entsteht durch äußere Reize wie Hitze oder Kälte oder innere Reize wie Entzündungen. Spezielle Rezeptoren leiten diese Reize über Nervenfasern an das Gehirn weiter, das diese Empfindungen z. B. als brennenden oder stechenden Schmerz wahrnimmt.3,4 Besonders einschränkend können chronische Schmerzen sein, also solche, die bereits seit mindestens drei Monaten konstant oder seit sechs Monaten mit Unterbrechungen bestehen.5

Untersuchungen zeigen: Chronische Schmerzen sind häufig – bis zu 39 % der deutschen Allgemeinbevölkerung leiden darunter.6 Meist sind mehrere Körperregionen betroffen, am häufigsten schmerzt es dauerhaft im Rücken oder in den Gelenken.7 Solche langanhaltenden Schmerzen können zu strukturellen Veränderungen des Nervensystems führen, die die Schmerzwahrnehmung sogar noch steigern können.8 Chronischer Schmerz entsteht, weil die körpereigene Schmerzabwehr aus verschiedenen Gründen nicht mehr in der Lage ist, Schmerzreize ausreichend zu regulieren.8,9 Auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) treten Schmerzen häufig auf: 60 % der CED-Betroffenen leiden im Laufe ihres Lebens z. B. unter Unterleibsschmerzen.5,10

Schmerz ist nicht gleich Schmerz: Verschiedene Ursachen, Wahrnehmung & Formen

Die Ursachen für Schmerzen bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind unterschiedlich. Begleiterkrankungen und Operationen, die zur Behandlung der CED erfolgen, können Schmerzen verursachen.10 Zudem sind auch Komplikation der CED, wie etwa Abszesse, Fisteln oder die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) – eine Entzündung der Gallenwege – mit Schmerzen verbunden.10,11 Auch die chronischen Darmentzündungen bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa führen zu Schmerzen, da bestimmte Schmerzrezeptoren aktiviert werden.11 Doch die Entzündungsaktivität im Darm ist nicht der alleinige Grund für Schmerzen: Studien haben gezeigt, dass bis zu 50 % der CED-Patient*innen trotz Remission – also Phasen mit geringer oder ruhender Krankheitsaktivität – von Schmerzen berichten, bei jeder bzw. jedem 6. CED-Betroffenen mit Schmerzen sind diese sogar stark.10,12 Denn Schmerzen entstehen auch durch eine Wechselwirkung von Gehirn und Darm, bei der sogenannte neuronale Netzwerke und Neuronen sensibilisiert werden und zu einer veränderten Schmerzwahrnehmung führen.5 Daher reicht eine Behandlung des Morbus Crohn oder der Colitis ulcerosa meist nicht allein aus, um die Schmerzen und den damit verbundenen Leidensdruck zu lindern.

Doch eine Behandlung der Schmerzen ist wichtig, denn sie können nicht nur Einfluss auf unser Wohlbefinden und Sozialleben sowie auf die Stimmung und den Schlaf haben, sondern zu einer wechselseitigen Beziehung von Schmerz und Psyche führen – insbesondere, wenn die Schmerzen chronisch sind.5,6 Das bedeutet, dass anhaltende Schmerzen langfristig zu psychischen Störungen führen können, gleichzeitig können depressive Verstimmung und Angst wiederum die Wahrnehmung von Schmerz verstärken.6,7 Auch bei CED zeigt sich dieser Zusammenhang: CED-Betroffene, bei denen trotz einer ruhenden Erkrankung Schmerzen auftraten, wiesen in einer Untersuchung häufiger einen depressiven oder ängstlichen Zustand auf.12 Übrigens: Wie die Gefühlswelt, also deine Psyche und deine CED zusammenhängen, erfährst du im Beitrag Bauch über Kopf – wie Psyche und CED zusammenspielen.

Hinzu kommt: Schmerz ist nicht gleich Schmerz, denn je nach Ursache lassen sich drei Schmerzformen unterscheiden, wobei häufig auch Mischformen vorliegen.7,12 Am häufigsten kommt nozizeptiver Schmerz vor.13 Dieser entsteht, indem sogenannte Nozizeptoren aktiviert werden.11 Dies sind bestimmte Rezeptoren in verschiedenen Organen und Geweben des Körpers, die auf die Verarbeitung von Schmerzreizen spezialisiert sind. Nozizeptoren reagieren z. B. auf Temperatur oder Berührung und spielen eine Schlüsselrolle dabei, dass dein Körper unterscheiden kann, ob der wahrgenommene Reiz gefährlich ist oder nicht.4,13 Führen Nervenschädigungen zu chronischen Schmerzen, spricht man von neuropathischem Schmerz. Liegt eine Veränderung der als Nozizeption bezeichneten Schmerzwahrnehmung vor, ohne Hinweise darauf, dass Gewebe geschädigt wird, bezeichnet man dies als noziplastischer Schmerz.13

Was bei Schmerzen und CED helfen kann

Um die Ursachen und das Ausmaß des Schmerzes festzustellen, sollte vor Beginn einer symptomatischen Schmerztherapie zunächst eine umfassende Schmerzanalyse erfolgen, bei der die Krankheitsaktivität, chirurgisch behandelbare Komplikationen wie Stenosen und Abszesse, die Nebenwirkungen der Therapie und bestehende psychische Störungen erfasst werden.14 Anschließend wird ein individueller Behandlungsplan aufgestellt, der die folgenden Ziele umfasst:7

  • Schmerzlinderung
  • Verbesserung der Lebensqualität
  • Verbesserung der Alltagsfunktion
  • Verbesserung der Stimmung
  • private, berufliche und soziale Teilhabe
  • Reduktion der benötigten Schmerzmedikation

Die Schmerztherapie sollte an der Lebensqualität der Betroffenen ausgerichtet werden und nicht an der Schmerzintensität, mit dem langfristigen Ziel, die Lebensqualität auch dann zu verbessern, wenn die Schmerzen nicht gelindert werden können.7 Mit welcher Therapieform diese Ziele erreicht werden können, hängt davon ab, welche Schmerzform vorliegt. Häufig werden verschiedene nicht-medikamentöse und medikamentöse schmerztherapeutische Maßnahmen kombiniert.7,15 Dass diese die körpereigene Schmerzabwehr wieder aktivieren können, zeigen Hinweise aus verschiedenen Studien.9 Um die Alltagsfunktion und die Stimmung zu verbessern, werden vor allem nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Physiotherapie, physikalische Therapien mit Kälte oder Wärme, Entlastungsgespräche, Stressbewältigungsverfahren und psychotherapeutische Methoden wie Verhaltens- und Traumatherapie eingesetzt.7 Ob Entspannungsverfahren positive Effekte auf Schmerzen bei CED-Betroffenen haben können, ist nicht eindeutig geklärt, auch wenn einige Untersuchungen mit CED-Patient*innen darauf hinweisen.16,17 Auch Selbsthilfegruppen oder eine medizinische Rehabilitation können hilfreich sein und das Selbstmanagement der Betroffenen verbessern.7

Als weiterer Baustein der Schmerztherapie können Medikamente eingesetzt werden.7 Zur Schmerzbehandlung werden häufig Opioide genutzt, doch ihr langfristiger Gebrauch kann mit Verstopfungen, Übelkeit, Erbrechen und schwerwiegenden Nebenwirkungen einhergehen – hohe Dosen können zudem zu Verwirrtheit führen.5,7 Sind CED-Patient*innen sowohl von chronischen Schmerzen als auch von depressiven Verstimmungen betroffen, können sich Antidepressiva sowohl auf die Depression selbst als auch auf einige Formen der chronischen Schmerzen positiv auswirken.5 Forscher*innen haben in einer Übersichtsarbeit außerdem den Effekt weiterer Maßnahmen auf die Linderung von Schmerzen bei CED untersucht. Während der Effekt einer angepassten Ernährung, die möglichst auf bestimmte Kohlenhydrate verzichtet (bezeichnet als FODMAP-Diät), unklar war, gab es Hinweise darauf, dass die transkranielle Magnetstimulation, ein schmerzfreies Verfahren zur Stimulation des Gehirns einen positiven Effekt auf die Schmerzintensität haben könnte.16 Da die Zahl der untersuchten Studien und ihrer Teilnehmer*innen aber klein war, lassen sich bisher nur erste Vermutungen aus den Ergebnissen schlussfolgern.

Wenn du den Eindruck hast, dass du häufig oder anhaltend Schmerzen hast, solltest du dies mit deiner Ärztin bzw. deinem Arzt und deinem Behandlungsteam besprechen. Sie können dich beraten, welche Maßnahmen deine Schmerzen möglicherweise lindern können.

Freigabenummer: EXA/DE/ENTY/0897